Schulalltag in der Waldorfschule.
- Nini Janni
- 19. Okt.
- 7 Min. Lesezeit
In diesem Blogbeitrag geben wir euch einen Einblick in den Schulalltag und lösen auf, ob Kinder wirklich ihren Namen tanzen können.
Wer war Rudolf Steiner und warum gibt es überhaupt Waldorfschulen? Welchen Schulalltag stellte sich Steiner vor?
Rudolf Steiner (1861–1925) war ein österreichischer Philosoph, Naturwissenschaftler und Begründer der Anthroposophie – einer Weltanschauung, die den Menschen als Einheit von Körper, Geist und Seele versteht. Aus diesen Ideen heraus entstand 1919 die erste Waldorfschule in Stuttgart. Sie wurde für die Kinder der Arbeiter der Waldorf-Astoria-Zigarettenfabrik gegründet – daher der Name.

Steiners Ziel war es, eine Schule zu schaffen, die Kinder nicht nur mit Wissen füllt, sondern ihre Individualität, Kreativität und Lebensfreude stärkt. Lernen sollte nicht mechanisch, sondern lebendig, sinnlich und menschlich sein. Deshalb legte er großen Wert auf Kunst, Musik, Bewegung (Eurythmie) und handwerkliches Arbeiten – gleichberechtigt neben Mathematik, Sprache und Naturwissenschaft.
Im Schulalltag stellte sich Steiner eine Umgebung vor, in der Lehrer ihre Schüler viele Jahre begleiten, in der Vertrauen wachsen kann und Unterricht rhythmisch, künstlerisch und altersgerecht gestaltet ist. Leistungsdruck und Noten sollten dabei keine Hauptrolle spielen – entscheidend war für ihn die Entwicklung des ganzen Menschen.
Welche Rolle haben die Lehrer und was hat es mit Jahres-Jahrsiebte auf sich?
In der Waldorfpädagogik spielen die Lehrer eine zentrale Rolle. Sie sind weit mehr als reine Wissensvermittler – sie begleiten die Kinder oft über viele Jahre hinweg, kennen ihre Stärken, Schwächen und individuellen Entwicklungsphasen. Für Rudolf Steiner war diese Beziehung entscheidend: Ein Lehrer sollte das Kind nicht formen, sondern darin unterstützen, sich selbst zu entfalten. Vertrauen, Beobachtungsgabe und Einfühlungsvermögen standen für ihn über starren Lehrplänen.
Eng damit verbunden ist Steiners Vorstellung von den sogenannten Jahrsiebten – also den Entwicklungsphasen, die jeweils rund sieben Jahre dauern.
In den ersten sieben Jahren (bis zum Zahnwechsel) lernt das Kind vor allem durch Nachahmung und Sinneserfahrungen.
Im zweiten Jahrsiebt (etwa vom 7. bis zum 14. Lebensjahr) steht das Lernen durch Autorität und Vorbild im Mittelpunkt – das Kind möchte geführt und inspiriert werden.
Ab dem dritten Jahrsiebt (ab etwa 14 Jahren) erwacht das eigene Denken und Urteilen; Jugendliche beginnen, sich mit der Welt und ihren Widersprüchen auseinanderzusetzen.
Steiner sah diese Rhythmen als natürlichen Ausdruck menschlicher Entwicklung. Die Waldorfpädagogik versucht deshalb, Unterricht und Anforderungen so zu gestalten, dass sie dem inneren Reifungsprozess des Kindes entsprechen – und nicht einem starren Lehrplan.
Was ist Eurythmie und warum hat Steiner so viel Wert auf handwerkliche und musikalische Tätigkeiten gelegt?
Eurythmie ist eine von Rudolf Steiner entwickelte Bewegungskunst. Sie wird oft als „sichtbare Sprache“ oder „sichtbarer Gesang“ beschrieben. In der Eurythmie werden Laute, Musik und Gefühle durch Bewegungen des ganzen Körpers ausgedrückt. Ziel ist es, Körper, Geist und Seele in Einklang zu bringen – also das, was man hört oder denkt, auch körperlich zu erleben. In der Waldorfpädagogik soll Eurythmie das Bewusstsein für Rhythmus, Ausdruck und innere Balance stärken.
Darüber hinaus legte Steiner großen Wert auf handwerkliche und künstlerische Tätigkeiten. Kinder sollten nicht nur mit dem Kopf lernen, sondern auch mit den Händen, den Sinnen und dem Herzen. Beim Malen, Werken, Singen oder Musizieren erfahren sie unmittelbar, was es heißt, etwas selbst zu erschaffen.
Für Steiner war diese Art des Lernens eine Grundlage für Selbstvertrauen und innere Stabilität. Wer mit eigenen Händen etwas gestaltet, lernt Verantwortung, Geduld und Freude am Tun – Fähigkeiten, die im späteren Leben weit über das Fachwissen hinausreichen. Musik, Kunst und Handwerk waren für ihn deshalb keine „Nebenfächer“, sondern zentrale Wege zur Entwicklung des ganzen Menschen.
Wie ist es wirklich an der Waldorfschule?

An der Waldorfschule begleiten die Klassenlehrer die Kinder bis in die achte Klasse. Wer denkt - wie soll das funktionieren, der Lehrer kann ja nicht alle Fächer unterrichten liegt richtig. Jeder Morgen beginnt mit dem Hauptunterricht. Der Tag beginnt immer mit dem Klassenlehrer oder der Klassenlehrerin. Sie werden oft mit Hand geben und einen persönlichen Wort begrüßt. Genauso gehört es zum Morgen mit einem Morgenspruch zu beginnen. Besonders in der Unterstufe ist es sehr wichtig, das die Klassenlehrerin oder der Klassenlehrer den Tag beginnt und auch beendet. Kein Kind soll mit ungelösten Konflikten, Sorgen nach Hause gehen. In der Realität wird es genauso gelebt. Auch in der Mittelstufe.
Was auch anders ist zum normalen Schulsystem. Jedes Kind bekommt zum Schulwechsel (es gibt nur einmal im Jahr ein Zeugnis) einen Zeugnisspruch. Dieser wird vor der gesamten Klasse jede Woche vorgetragen. Es wird auf Aussprache, Lautstärke usw. geachtet. Generell stehen die Kinder regelmäßig auf der Bühne (natürlich freiwillig).
Nach dem Hauptunterricht unterrichten Fachlehrer. Es stimmt also nicht - die Klassenlehrer sind nicht für den gesamten Unterrichtsinhalt zuständig. Die ersten Stunden werden in Epochen unterrichtet. Es handelt sich um Deutsch, Mathe, Sachkunde. Immer ein paar Wochen am Stück, abwechselnd. Wer jetzt denkt: "Wie soll das in in Mathe funktionieren?" Fünf Wochen Mathe, dann drei Wochen Deutsch usw... In den Hausaufgaben werden oft sowohl Deutsch, als auch Mathewiederholungen integriert.
Hausaufgaben an der Waldorfschule?
Ja die gibt es aber nicht in dem Umfang wie wir es vom normalen Schulsystem kennen. Sie dienen der Wiederholung und Festigung der Lerninhalte. Auch kleine Projekte wie bspw. "sammelt Kastanien für 10er Ketten" oder "100 kleine Teile", um den 100er Bereich zu erschließen. Außerdem dienen sie der Wiederholung - wenn bspw. gerade eine Sachkunde Epoche ist.
Der Fachunterricht und Übstunden folgen auf den Hauptunterricht. Die Kinder lernen zwei Sprachen (meist Englisch und Französisch). Weitherin gibt es Fächer wie Eurythmie, Sport, Musik, Religion oder auch Handarbeiten, in der Mittelstufe Gartenbau. In den ersten Klassen wird gestrickt. Oldschool? Mag sein aber es ist eine unwahrscheinlich gute Übung für die Konzentration und Feinmotorik.
Lernen die Kinder an der Waldorfschule auch was?
Da der Schulabschluss an der Waldorfschule erst nach 12 Schuljahren gemacht wird, haben die Kinder eins - Zeit. Durch diese Tatsache ist es überhaupt möglich Fächer wie Musik, werken usw.. zu integrieren. Die Klassenlehrer planen ihre Epochen selbst. Es gilt - wir lernen mit Herz, Hand und Kopf. Themen werden gesungen, getanzt, geformt oder direkt mit Ausflügen verbunden. Es ist kein Problem, wenn Kinder ein wenig länger zum lesen benötigen. Wie auch Maria Montessori sagte: "Kinder haben Lernfenster." Wenn sich dieses Fenster öffnet, wird es intrinsich anfangen sich zu interessieren und dann geht es ganz schnell. Genauso ist es im Schulalltag an der Waldorfschule. Die Kinder haben weniger Stress, fühlen sich wohl in der Umgebung und haben ein Umfeld das sie trägt. Sie freuen sich auf die Schule und sind traurig, wenn die Sommerferien beginnen.
Das Leben ist kein Ponyhof. Kinder brauchen Leistungsdruck und einen gewissen Rahmen.
Die Einstellung haben viele Eltern und das ist völlig ok. Wir kennen den Druck im normalen Schulsystem. Tränen bei den Hausaufgaben, Bullemiewissen für Klassenarbeiten, Streit zwischen Mama und Kindern weil Morgen die Klassenarbeit ansteht und sitzen bleiben im Raum stehen könnte. An der Waldorfschule gibt es kein sitzen bleiben, keine Noten. Ich möchte dazu meine ehrliche Meinung sagen: Ab der 4. Klasse interessiert es die Kinder was das für eine Note wäre. Sie bekommen Punkte und wissen - das war gut und das war schlecht. Sie vergleichen sich mit den anderen Mitschülern. Sie verstehen es von alleine wie wichtig es ist, den Lerninhalt zu begreifen und das Wissen aufeinander aufbaut. Sie benötigen es nicht schwarz auf weiß mit einer Note. Das es kein sitzen bleiben gibt hat den Hintergrund: Lt. Steiner sollen die Kinder in ihrem Alter sich gemeinsam entwickeln. Besonders wenn es in der Vorpubertät und Pubertät neue Interessengebiete gibt - sitzen bleiben bedeutet immer - die Mitschüler sind jünger und in einer anderen Entwicklungsstufe. Die Klassengemeinschaft stärkt es enorm und die Kinder haben ein vertrauensvolles Umfeld, entwickeln sich und können Kompetenzen wie freies sprechen, Schauspiel usw.. Wenn eine Klassenarbeit überhaupt nicht funktioniert hat, dann gibt es genauso Fördermöglichkeiten und die Eltern sind gefragt - wie im normalen Schulsystem auch. Einige Famiien verlassen die Waldorfschule nach der vierten Klasse - spätestens in der fünften Klasse. Oft sind das Kinder, die wirklich super gerne lernen und sich unterfordert fühlen oder die Eltern, die meinen es ist besser einen Abschluss an einer Regelschule zu machen. Denn eins ist auch wichtig zu wissen. An Waldorfschulen gibt es kein Vorabitur und Französisch ist Pflicht. Also ein Versuch und das ist dein Abi. Doch die Jugendlichen die diesen Weg gehen, die sind motiviert, die wollen und die haben sich bewusst entschieden.
Es gibt regelmäßig Veranstaltungen an den Schulen - wo Eltern ihre Fragen stellen können. Ich habe mich sehr lange mit dem Thema auseinander gesetzt und vergleiche es mit gehirn-gerechten Lernmehtoden. Die Waldorfschule hat einen anderen Ansatz und meiner Meinung nach lohnt es sich, sich diese Welt zumindest einmal anzusehen und erst dann eine Entscheidung für sich selbst zu treffen.
Können die Kinder ihren Namen tanzen?
Ja das können sie. Nicht weil sie es üben sondern weil Eurythmie Worte in Tanz verwandelt. Es ist ein Ausdruckstanz und so hat jeder Buchstabe eine eigene Bewegung. Sie lernen also das ABC und können dann natürlich ihren Namen auch tanzen. Wer glaubt Jungs haben damit ein Problem - nein. Es machen alle Kinder. Es gehört zum normalen Schulalltag und sie haben sehr viel Spaß daran. Viele Bekannte mit Kindern an der Waldorfschule berichten genau das. Die Kinder lieben das Fach oder sind völlig neutral. Es gehört zum Alltag einfach dazu.
Birkenbihl und Waldorf - wo sind die Gemeinsamkeiten?
Vera F. Birkenbihl hat den Begriff gehirn-gerecht geprägt und sich mit Lernen beschäftigt. Sie hat schon immer gesagt, das Gehirn lernt über begreifen, Spaß und mit Freude. Jedes Thema soll interessant beginnen im Einstieg, damit sie Lust auf mehr bekommen. Genauso ist es an der Waldorfschule auch. Ob kneten, basteln oder bpsw. Windrichtungen auf den Hof mit Kreide bestimmen - die Kinder lernen nachhaltig und mit großen Spaß und Interesse. An einigen Waldorfschulen gilt das besonders in der Grundschule. Dort gibt es "bewegte Klassen". Bewegungseinheiten gehören zum normalen Morgen. Auch das der Unterricht nach draußen verlegt wird, die Pausenhöfe getrennt voneinander angelegt sind. Das finden wir an vielen Waldorfschulen wieder. Mich fasziniert diese Welt und alternative Schulformen. Beim nächsten Mal berichte ich über den Alltag in einer freien Schule und einer Montessori Schule. Diese unterscheiden sich schon sehr von Waldorfschulen und dem normalen Schulsystem.





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